Rechtsprechung

Masernimpfpflicht verfassungskonform

Das BVerfG hat die faktische Impfpflicht gegen Masern für verfassungskonform erachtet. Das BVerfG schreibt dazu in den Leitsätzen:

Das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) ist Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat, der in das Erziehungsrecht der Eltern nicht ohne rechtfertigenden Grund eingreifen darf. In der Beziehung zum Kind bildet aber das Kindeswohl die maßgebliche Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung. Die Entscheidung über die Vornahme von Impfungen bei entwicklungsbedingt noch nicht selbst entscheidungsfähigen Kindern ist ein wesentliches Element der elterlichen Gesundheitssorge und fällt in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Bei der Ausübung der am Kindeswohl zu orientierenden Gesundheitssorge für ihr Kind sind die Eltern jedoch weniger frei, sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden, als sie es kraft ihres Selbstbestimmungsrechts über ihre eigene körperliche Integrität wären.

BVerfG, Beschlüsse 1 BvR 469/20 u.a. vom 21.07.2022

Betriebsvereinbarung und LEQ

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil v. 29.06.2021 (Az. 5 Sa 297/20) entschieden, dass eine Betriebsvereinbarung unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen werden kann, wenn der Eintritt der vereinbarten Bedingung für alle Beteiligten, auch für die Arbeitnehmer als Normunterworfene, ohne Weiteres feststellbar ist.

Für die Kinder- und Jugendhilfe ist diese Entscheidung deshalb so interessant, weil die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung unter anderem die Umsetzung von Lohn- und Gehaltssteigerungen unter den Vorbehalt des Abschlusses einer entsprechenden LEQ-Vereinbarung des Trägers gestellt hat. Die Betriebsvereinbarung enthielt dazu den Passus:

„Voraussetzung für die Neufestlegung der Gehälter sowie die Ein- / Höhergruppierung ist, dass eine Refinanzierung der Gehaltssteigerungen mit dem Kostenträger, Landkreis…, vereinbart wird und die Refinanzierung sichergestellt ist. Die Gehaltserhöhungen und/oder Höhergruppierungen werden zum 1. des Folgemonats nach abgeschlossener Entgeltverhandlung aller Bereiche mit dem Kostenträger umgesetzt.“

Man mag diese Entscheidung begrüßen, wenn man alleine die finanzielle Sicherheit des Trägers vor Augen hat. Und auch wenn die Entscheidung zudem arbeitsrechtlich richtig sein mag, im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe erscheint sie systemwidrig, weil dadurch das System prospektiv zu verhandelnder Entgelte quasi durch die Hintertür schon beinahe wieder auf ein Kostenerstattungssystem zurückgeführt wird.

Unseres Erachtens ist es grundsätzlich eher anzuraten, zukünftige Tariferhöhungen prospektiv zu verhandeln und -wenn überhaupt- eine Vereinbarung über eine Neuverhandlung bei abweichenden Tarifergebnissen zu vereinbaren.

Mit o.a. Betriebsvereinbarung vergibt man die Chance, die Lohn- und Gehaltssteigerungen prospektiv zu kalkulieren und kommt wohl meist auch erst Monate nach der Tariferhöhung zu einer Lohnsteigerung.

Fazit: In Einzelfällen mag es angeraten sein, empfehlenswert sind zunächst andere Wege

Krankheitsbedingte Kündigung bei häufigen Kurzzeiterkrankungen und BEM

Das LAG Düsseldorf hatte sich in einem aktuellen Urteil (17.05.2022, 14 Sa 825/2114 Sa 825/21) noch einmal mit dem Prognosezeitraum befassen müssen, der für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen ausrechend ist. Zudem musste sich das Gericht in demselben Verfahren mit dem einvernehmlichen Abbruch eines BEM auseinandersetzen.

Das Gericht führte dazu aus:

1. Ein Referenzzeitraum von zwei Jahren vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen kann eine hinreichende Basis der negativen Prognose zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten sein.

2. Zur Feststellung zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich: Bei Anwendung eines 6/2-Schichtsystems müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten insgesamt 31,5 Arbeitstage jährlich übersteigen.

3. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll (BAG 18.11.2021 - 2 AZR 138/21 - Rn. 29). Wie der Arbeitnehmer von vornherein die Zustimmung zur Durchführung eines bEM nicht erteilen kann, sodass es überhaupt nicht begonnen wird, so kann das bEM einvernehmlich beendet werden, und zwar unabhängig davon, wie weit es vorangebracht wurde. Es kommt dann darauf an, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden sollte.

 

Die sachgerechte Entscheidung bestätigt im Grunde genommen die bisherige Rechtsprechung. Lesenswert ist die Entscheidung, da sie gut und übersichtlich auch auf die bisherige Rechtsprechung Bezug nimmt.

Pflicht zum Tragen einer Maske durch Direktionsrecht gedeckt

Die Weisung des Arbeitgebers, in bestimmten Situationen und bestimmten Räumlichkeiten eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, ist vom Direktionsrecht nach § 106 GewO gedeckt. Die bisherige Entscheidungspraxis wurde nun noch einmal durch das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 26.04.2022 - 7 Sa 106/22) bestätigt.

 

 

 

Untreue durch überhöhte Vergütung des Geschäftsführers einer gGmbH (AWO Müritz)

Eine anlasslose, insbesondere nicht im Interesse der Gesellschaft liegende Erhöhung der finanziellen Leistungen und Leistungsversprechen an den Geschäftsführer einer gGmbH erfüllt den Tatbestand der Untreue gem. § 266 StGB.
Die Unangemessenheit der an den Geschäftsführer einer gGmbH gezahlten Vergütung kann sich auch aus einem sprunghaften erheblichen Gehaltsanstieg ergeben. Es kommt nicht auf die absolute Höhe des Gehalts an. Es besteht grundsätzlich kein Recht auf übergangslose oder in zu großen Sprüngen erfolgende Anpassung der Vergütung an das, was vergleichbare Beschäftigte erhalten bzw. erhalten können
Die Einziehung deliktisch erlangter Anwartschaften oder Ansprüche hat nicht zu erfolgen, wenn bereits rechtskräftig festgestellt ist, dass diese nicht bestehen.

 BGH, Beschluss vom 03.05.2022 – 6 StR 567/21

Fristlose Kündigung bei Androhung von Gewalt

Die ernsthafte Bedrohung des Vorgesetzten und seiner Familie mit körperlicher Gewalt rechtfertigt eine fristlose Kündigung. Gibt die Arbeitgeberin in einem solchem Fall aus Versehen in der Betriebsratsanhörung die Sozialdaten des Klägers unzutreffend an (ledig, keine Kinder anstelle zutreffend verheiratet, ein Kind) und waren dem Betriebsrat im Zeitpunkt der Einleitung der Anhörung die zutreffenden Sozialdaten bekannt, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund fehlerhafter Betriebsratsanhörung. Ein Lügendetektor (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) ist auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren kein zulässiges, weil ungeeignetes Beweismittel.

 Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 Sa 705/21

Widerrufsvorbehalt bei Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit gültig

Ein Widerrufsvorbehalt, der sich auf die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit verbunden mit einer Funktionszulage bezieht, ist grundsätzlich wirksam und hält einer AGB-Kontrolle stand. Das Transparenzgebot erfordert es nicht, dass die Gründe, die für einen Widerruf der Übertragung der höherwertigen Tätigkeit in Betracht kommen, aufgeführt werden. Besteht kein dauerhaftes Bedürfnis für die Übertragung der höherwertigen Tätigkeit, ist deren Übertragung unter einem Widerrufsvorbehalt auch nicht als unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.

Hessisches LAG, Urteil vom 25.03.2022 - 10 Sa 1254/21Hessisches LAG, Urteil vom 25.03.2022 - 10 Sa 1254/21

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