Zum Beweiswert einer AUB

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat sich in seiner Entscheidung vom 21.03.2023  (Az. 2 Sa 156/22) mit dem Beweiswert vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen befasst.

Das Ergebnis der Entscheidung wird in folgenden Leitsätzen nachvollziehbar:

1. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen.

2. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ( BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 13, juris).

3. Erforderlich ist die konkrete Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des hohen Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

4. Eine subjektive Betrachtung kann nicht den entscheidungserheblichen Maßstab darstellen. Vielmehr ist es notwendig, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare, belastbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen lediglich objektiv mehrdeutige, plausibel erklärbare Sachverhalte vor, sind diese jedenfalls grundsätzlich nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen zu können ( LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.02.2023 - 3 Sa 135/22 - Rn. 31, juris).

5. Möchte ein Arbeitgeber die Entfernung privater Gegenstände aus dem Betrieb anführen, um zu belegen, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb habe zurückkommen, also keinerlei Arbeitsleistung mehr habe erbringen wollen, muss er die privaten Gegenstände benennen, welche der Arbeitnehmer im Betrieb aufbewahrt und die er sodann entfernt hat. Die pauschale Behauptung fehlender privater Gegenstände in dem Betrieb ist nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Anders als vom BAG in seiner Entscheidung vom 8.09.2021 (s.o.) formuliert, erschwert das LAG MVP damit die Voraussetzungen, unter denen Arbeitgeber bei berechtigten Zweifeln den Beweiswert einer AUB anzweifeln können.

Auch das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 03.01.2023 (Az 3 Sa 468/22) die Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes einer AUB hoch gehängt. In dem Fall ging es um eine "kollektive Krankschreibung", zu der das LAG ausführte: "Eine Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt in Betracht, wenn hinreichende Indizien für ein kollusives Zusammenwirken mehrerer Arbeitnehmer zur zeitgleichen "Krankschreibung" mit dem Ziel der Schädigung des Arbeitgebers vorliegen. Das bloße zeitliche Zusammentreffen mehrerer Krankheitsausfälle als solches begründet jedoch kein solches Indiz, sondern ist für sich genommen neutral. Hinzutreten müssen weitere Umstände, wie beispielsweise bestimmte Äußerungen oder Verhaltensweisen der betreffenden Arbeitnehmer, die auf ein kollusives Zusammenwirken schließen lassen."

 Deutlich arbeitgeberfreundlicher zeigte sich das LAG Schleswig-Holstein mit seinem Urteil v. 2.05.2023 (Az 2 Sa 203/22). Hier unterlag der Arbeitnehmer. Das LAG führte zu seinem Urteil im Leitsatz aus:

"Der Text eines Kündigungsschreibens einer Eigenkündigung in Verbindung mit einer bereits kurz vorher eingereichten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin sowie die Würdigung der Gesamtumstände nach einer Zeugenaussage des behandelnden Arztes können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern." und ergänzte um zwei weitere Orientierungssätze:


"1. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Die den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.

2. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen."

 

Eine klare Linie ist somit nur vermeintlich erkennbar - und ob sich der Streit im Einzelfall lohnt, das muss sorgfältig abgewogen werden.

 

 

 

 

 

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