Vor einigen Tagen haben wir bereits auf das neue Urteil des EuGH hingewiesen, welches nun kurz kommentiert werden soll.
Im Ergebnis hat der EuGH festgestellt, dass die Pflegefamilien im hier entschiedenen Verfahren nicht unter die europäische Arbeitszeitrichtline (RL 2003/88/EG) fallen.
Vorausgegangen war dieser Entscheidung ein anderes EuGH-Urteil ("Hälvä"), in der es um die Arbeitszeit der Vertreter von Kinderdorfeltern ging. Hier kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Vertreter von Kinderdorfeltern unter die europäische Arbeitszeitrichtlinie fallen, ohne dass eine in der Richtlinie aufgeführten Ausnahmen eingreifen würde. Begründet wurde dies vor allem damit, dass die Arbeit der Vertretungskräfte zeitlich "messbar" wäre und sie zumindest immer, auch bei Abwesenheit der Kinder, zumindest als Bereitschaftszeit qualifiziert werden könne.
Dass diese Entscheidung eine erhebliche Beeinträchtigung jeder pädagogischen Arbeit darstellt und ggf. auch einen Eingriff in die Rechte der Kinder bedeutet, wurde vom EuGH nicht gesehen. Ebensowenig sah der EuGH hier die Möglichkeit, dass auch die europäische Arbeitszeitrichtlinie in bestimmten Fällen Ausnahmen ermöglicht, diese besondere Arbeitsform auch im Geltungsbereich der Arbeitszeitrichtinie zu ermöglichen, nämlich gemäß Art. 17 der RL 2003/88/EG.
Die Ausnahmen von der europäischen Arbeitszeitrichtlinie umfassen allerdings zwar u.a. die wöchentliche Arbeitszeit, nicht jedoch Abweichungsmöglichkeiten vom gesetzlichen Mindesturlaub, der ebenfalls in der Richtlinie verankert ist. Das bedeutet, dass die Kinderdorfeltern selbst (und nicht ihre Vertreter) zwar theoretisch unter eine Ausnahme nach der Arbeitszeitrichtlinie fallen könnten, eine Abweichung vom gesetzlichen Mindesturlaub aber mangels rechtlicher Grundlage in der Richtlinie nicht möglich wäre.
Insofern hatte der EuGH nun im hier interessierenden neuen Urteil das Dilemma zu lösen, wie man eine familienähnliche Konstellation auch unter den Voraussetzungen der Arbeitszeitrichtlinie gestalten kann.
Der Generalanwalt hatte zunächst argumentiert, dass die hier beschriebenen Arbeitnehmer (die Pflegeeltern) möglicherweise gar keine Arbeitnehmer im Sinne der Arbeitszeitrichtline seien. In diesem Fall wäre die Arbeitszeitrichtline gar nicht anwendbar und man hätte vordergründig das Problem gelöst. Die Konsequenzen wären allerdings erheblich, da bei Wegfall der Arbeitnehmereigenschaft auch andere Schutzvorschriften keine Anwendung mehr gefunden hätten. Von daher hat der EuGH den hier vermutlich einzigen noch gangbaren Weg gewählt, und die Tätigkeit der Pflegeeltern als eine dem öffentlichen Dienst des Mitgliedsstaates zugehörige Aufgabe des Kinderschutzes definiert und dem Gemeinwohl zugeordnet. Für derart wichtige öffentliche Aufgaben lässt das europäische Recht Ausnahmen zu, indem diese Aufgabenbereiche teilweise dem Schutz der erlassenen Richtlinien entzogen werden. Gleichwohl ist auch in solchen Fällen gemäß der europäischen Arbeitsschutzrichtlinie ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und deren Sicherheit sicherzustellen.
Dieses Kriterium sah der EuGH hier als erfüllt an, da die Pflegeeltern sowohl über Freizeit verfügen würden ("...bspw. während der Schulzeit"), als auch durch deren zumindest theoretisch vorhandene Möglichkeit Urlaub zu nehmen.
Insgesamt ist das Ergebnis zunächst erfreulich, da der EuGH hier noch einmal die Bedeutung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer hervorgehoben hat. Die Bedeutung des Kinderschutzes und die möglichst familienähnliche Betreuung sah der EuGH hier für ebenso bedeutsam: "Die durchgängige und auf lange Zeit angelegte Eingliederung von Kindern, die wegen ihrer
schwierigen familiären Situation besonders verletzlich sind, in den Haushalt und die Familie eines Pflegeelternteils stellt eine geeignete Maßnahme zur Wahrung des in Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Wohls des Kindes dar."
Zusammengefasst hat der EuGH daher hier versucht, einen vernünftigen Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Grundrechten der betreuten Kinder- und Jugendlichen und dem erforderlichen Schutz der Arbeitnehmer zu finden, die diese Kinder in die eigene Familie aufnehmen.
Was bedeutet das nun für familienähnliche Wohnformen in Deutschland?
Klar ist, dass die arbeitsrechtlichen Vorschriften in Deutschland nicht zum System der familienanalogen Wohnformen passen. Anders als in der europäischen Arbeitszeitrichtlinie sind bei uns bspw. Arbeitszeit und Urlaub in unterschiedlichen Gesetzen verankert. Selbst wenn man die Abweichungsmöglichkeiten im Arbeitszeitgesetz noch "irgendwie" mit dem System der familienanalogen Wohnformen in Einklang bringen kann - spätestens beim BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) passt es nicht mehr.
Inwieweit auch hier die Rechtsprechung zu vernünftigen Lösungen kommen kann ist nach wie vor ungewiss - und eine Änderung der Gesetze selbst kann praktisch ausgeschlossen werden.
Zu der Frage von Urlaub / Urlaubsmöglichkeiten ist derzeit ein Schiedsstellenverfahren des VPK Niedersachsen anhängig, welches für Februar 2019 terminiert ist. Wir werden davon berichten.
MdC