VGH München u.a. zur Tarifbindung

In diesem Verfahren des VGH München geht es um einen Beschluss v. 13.02.2024, der unter dem Az. 12 BV 23.1331 gefasst wurde. Auf die ersten 4 Leitsätze wird hier nicht weiter eingegangen, da diese bereits für die Veröffentlichung im Blickpunkt Jugendhilfe vorgesehen sind. Die letzten beiden Leitsätze behandeln aber die weiteren Punkte, die nur in dieser Entscheidung zu Grunde lagen und Fragen zu Rahmenverträgen und Tarifbindung behandeln:

“5. Rahmenverträge im Sinne von § 78f SGB VIII werden nur dann Inhalt von Einzelvereinbarungen, wenn die Parteien die Regelungen des Rahmenvertrags ihrer Rechtsbeziehung zugrunde legen, indem sie auf die Bestimmungen des Rahmenvertrages mit entsprechendem Rechtsbindungswillen übereinstimmend Bezug nehmen, ihm beitreten oder seine Verbindlichkeit auf sonstige Weise (ausdrücklich) anerkennen (im Anschluss an BGH, U.v. 18.2.2021 – III ZR 175/19 –, ZKJ 2021, 241 – juris, Rn. 25).

6. Auch ohne Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 113, 258; BSGE 120, 51) lässt sich den Gesetzesmaterialien zum prospektiven Entgeltsystem mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass die Bezahlung tariflicher Entgelte stets als wirtschaftlich angemessen im Sinne von § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu bewerten ist, ohne dass es insoweit einer weiteren Prüfung in Gestalt eines „externen Vergleichs“ bedarf; denn keine Einrichtung darf gezwungen werden, die von ihr erwarteten Leistungen unterhalb ihrer „Gestehungskosten“ anzubieten und zu erbringen (vgl. BT-Drs. 13/10330, S. 17; BT-Drs. 12/5510, S. 10).”

Damit werden zwei interessante Fragestellungen bearbeitet, die bislang -soweit ersichtlich-  nur unzureichend in der Rechtsprechung zum SGB VIII berücksichtigt worden sind.

Ausgangspunkt für die Entscheidung war das vor dem VG München unter dem Az. M 18 K 22.3190 geführte Verfahren, welches mit Urteil vom 21.06.2023 entschieden wurde und einen Schiedsbeschluss betraf, der im Rahmen der Entgeltfestsetzung die Personalkosten entsprechend den Regelungen des (in diesem Fall bayerischen) Rahmenvertrages nach § 78f SGB VIII festlegte. Das Verwaltungsgericht stellte jedoch fest, dass der Jugendhilfeträger diesem Rahmenvertrag nicht beigetreten sei und der Einrichtungsträger deshalb bei der Kalkulation der Personalkosten nicht an den Rahemnvertrag gebunden sei. Das VG München überließ im Ursprungsverfahren die wichtige Frage, ob die Bezahlung von tariflichen Entgelten grundsätzlich immer als wirtschaftlich angemessen zu werten ist, allerdings der Schiedsstelle. So habe die Schiedsstelle auch dann, wenn die Einrichtung nicht an den Rahmenvertrag gebunden sei, die nach ihrem Tarif  verhandelten Personalkosten zwar zu berücksichtigen, das Gesamtentgelt jedoch zwingend im Rahmen eines anschließenden externen Vergleichs zu prüfen und daraufhin ein Gesamtentgelt festzusetzen. Letztendlich, so das VG München, müsse die Schiedsstelle im Übrigen auch nicht über alle Kostenpositionen der Kalkulationsgrundlage entscheiden, sondern könne auch ein Gesamtentgelt festsetzen.

Der VGH München bestätigte nun in diesen Punkten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Zur Frage des Beitritts zu einem Rahmenvertrag führte der VGH aus, dass Rahmenverträgen gemäß § 78f SGB VIII im Unterschied zu den Rahmenverträgen im Sozialhilfe- und Pflegeversicherungsrecht keine Allgemeinverbindlichkeit zukomme. Die Landesrahmenverträge besitzen für den öffentlichen Jugendhilfeträger und die Einrichtungsträger anlässlich der Vereinbarungsverhandlungen nach §§ 78b, 78c SGB VIII lediglich empfehlenden Charakter und werden deshalb nur dann Inhalt der Einzelvereinbarungen, wenn die Parteien die Regelungen des Rahmenvertrags ihrer Rechtsbeziehung zugrunde legen, indem sie auf die Bestimmungen des Rahmenvertrags mit entsprechendem Rechtsbindungswillen übereinstimmend Bezug nehmen, ihm beitreten oder seine Verbindlichkeit auf sonstige Weise (ausdrücklich) anerkennen. Auch aus der Bevollmächtigung des Trägerverbandes zum Abschluss einer Vereinbarung nach § 78b Abs. 1 SGB VIII könne auf einen Beitritt zum Rahmenvertrag nicht geschlossen werden, ebenso wenig aus der Ermächtigung des jeweiligen Trägerverbandes zum Abschluss eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Gegenseite. Zuletzt führte der VGH zu dieser Frage aus, dass ungeachtet dessen der Rahmenvertrag in diesem Fall auch unter dem Gesichtspunkt eines unzulässigen „Vertrages zu Lasten Dritter“ – der Träger der einzelnen Einrichtungen – keine Verbindlichkeit beanspruchen könne,  weil dieser sie – entgegen den Grundprinzipien des prospektiven Entgeltsystems (§ 78d Abs. 1 SGB VIII) – dazu zwänge, die von ihnen erwarteten Leistungen entgegen dem sie im Außenverhältnis bindenden Tarifvertrag unterhalb ihrer eigenen „Gestehungskosten“ anzubieten und zu erbringen.

Mit dieser weitestgehend das VG bestätigenden Auffassung dürfte für den SGB VIII-Bereich zwar nunmehr geklärt sein, dass die Landesrahmenverträge gem. § 78f SGB VIII nur empfehlenden Charakter haben - aber nicht, wie ein Träger, gewollt oder ungewollt, diesem Vertrag beitreten kann – zumindest nicht in Detailfragen. Tritt beispielsweise ein Träger durch eine entsprechende Erklärung bei und wird im Verlauf der Zeit der Rahmenvertrag verändert, so müsste aus Sicht des Verfassers stets ein “neuer” Beitritt erfolgen, da Rahmenverträge keine Normverträge sind und auch keine Bindungswirkung wie z.B. Tarifverträge entfalten. Zudem könnten die entgeltverhandelnden Parteien ja durchaus im Rahmen der Vertragsfreiheit auch einzelne Bestandteile des Vertrages in Bezug nehmen. Eine Verpflichtung, den gesamten Rahmenvertrag anzuwenden, lässt sich jedenfalls nicht herleiten.

Für viele Träger war die Frage, ob und wie es denn in diesem Verfahren mit der Tarifbindung aussehe, noch erheblich praxisrelevanter.

Zwar hatte bereits die Vorinstanz die Anerkennung der Tarifbindung hervorgehoben (s.o.), aber das Gesamtentgelt unter der zwingenden Voraussetzung eines externen Vergleichs in den Kompetenzbereich der Schiedsstelle gelegt. Dem trat der VGH hier entschieden entgegen in dem er ausführte:

„…diese Ausführungen sind zwar im Grundsatz zutreffend, da die Schiedsstelle aufgrund des Fehlens entsprechender gesetzlicher Vorgaben ihr Prüf- und Entscheidungsprogramm zu § 78b Abs. 2 und § 78c Abs. 2 SGB VIII selbstständig bestimmt und sich insoweit auch an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts orientieren darf (aber nicht orientieren muss). Gleichwohl bedarf es eines solchen Rückgriffs (auf einen externen Vergleich, Anm. d. Verf.)  – anders als das Verwaltungsgericht meint – von vornherein nicht, da sich bereits den Materialien zum prospektiven Entgeltsystem mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt, dass keine Einrichtung gezwungen werden darf, die von ihr erwarteten Leistungen unterhalb ihrer „Gestehungskosten“ anzubieten und zu erbringen (vgl. BT-Drs. 13/10330, S. 17; BT-Drs. 12/5510, S. 10; siehe auch BVerwG, U.v. 01.12.1998 – 5 C 17/97 –, BVerwGE 108, 47 – juris, Rn. 23). Schon allein deshalb erweist sich die Bezahlung tariflicher Entgelte stets als wirtschaftlich angemessen im Sinne von § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, ohne dass es insoweit – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – noch einer Prüfung in Gestalt eines „externen Vergleichs“ bedarf. Vielmehr wird die Einschätzungsprärogative der Schiedsstelle insoweit durch die zwingenden Vorgaben des prospektiven Entgeltrechts begrenzt.“

 

Dieser Entscheidung ist unbedingt zuzustimmen, da alle Fragen des externen Vergleichs, insbesondere in Bezug auf Vergütungsstrukturen, Tarifpolitik, Besetzungskonzepte etc. in der Praxis kaum lösbar gewesen wären.

Im Ergebnis bedeutet die Entscheidung, dass selbst dann, wenn eine Schiedsstelle einen externen Vergleich durchführen will, die Anerkennung der Tarifbindung maßgeblich ist und folglich „herausgerechnet“ werden müsste. Auch das wird Folgeentscheiungen produzieren, die aber allemal besser zu händeln sind, wie die grundsätzliche Frage zur Tarifanerkennung. Hinsichtlich der Bindung an einen Rahmenvertrag dürfte dagegen noch nicht das letzte Wort gesprochen sein.

Neben dieser Entscheidung fasste der VGH zwei weitere Beschlüsse zu ähnlich gelagerten Themen, die ebenfalls im kommenden Blickpunkt Jugendhilfe besprochen werden.

Was die 3 obergerichtlichen Entscheidungen verbindet, ist die weitgehende Delegation der Entscheiudngskompetenz an die Schiedsstellen – zumindest was die Fragen Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit angeht. Den Schiedsstellen wird hier eine enorme Sach- und Entscheidungskompetenz zugewiesen, die man nun vor dem Hintergrund der jeweiligen personellen und sachlichen Ausstattung bewerten muss. Sollten die Schiedsstellen z.B. eigene Bewertungsmaßstäbe entwickeln müssen, braucht es auch dafür ausreichende Ressourcen, die m.E. zumindest derzeit noch nicht vorhanden sind. Hier besteht Handlungsbedarf.

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