Rechtsprechung

Urlaubsrecht: Was passiert bei Langzeiterkrankungen oder Verjährung?

Gleich 3 Entscheidungen des EuGH brachten letzte Woche Bewegung in das Urlaubsrecht, davon betraf eine Entscheidung Fragen der Verjährung und zwei Entscheidungen beschäftigten sich mit dem möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankten.

Nach den Vorgaben des EuGH verfällt Urlaub bekanntlich nur noch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall aufmerksam gemacht hat. Nach deutschem Recht könnten Arbeitnehmer jedoch ihre Urlaubsansprüche durch eine mögliche Verjährung verlieren. Dem hat der EuGH (Urteil v. 22.09.2022) eine klare Absage erteilt. Sofern der Arbeitgeber seine Hinweispflicht nicht erfüllt, kann er sich der (Nach-) Gewährung des Urlaubs auch nicht durch verstreichenlassen der Verjährungsfrist entziehen.

In den beiden anderen Verfahren (EuGH, Urteil v. 22.09.2022, C‑518/20 und C‑727/20), denen ebenfalls Verfahren aus Deutschland zu Grunde lagen, ging es um die Frage, ob Urlaub bei Langzeiterkrankungen nach 15 Monaten verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist.

Der EuGH entschied, dass der Urlaubsanspruch  unter "besonderen Umständen" verfallen könne,  um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen nach Abwesenheit wegen Langzeiterkrankung zu vermeiden. Dies gilt allerdings nicht für Bezugszeiträume (im deutschen Recht ist der Bezugszeitraum immer ein Kalenderjahr), in denen der Arbeitnehmer zumindest teilweise (noch) gearbeitet hat.

Kurz gesagt bedeut das: Urlaub darf nach 15 Monaten durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfallen: bei dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im laufenden (Urlaubs-) jahr kommt der Verfall aber nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten genügt hat.

MdC

25.09.2022

 

 

 

Vertretung von innewohnenden Fachkräften

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 07.09.2022 (Aktenzeichen: OVG 6 I 3/22) entschieden, dass die betriebserlaubniserteilende Behörde festlegen kann, dass für einen Platz in einer familienanalogen Einrichtung (hier Projektstelle) ein Fachkraftschlüssel von 1,2 Stellen erforderlich sei. Nach Auffassung des Gerichts ist anerkannt, dass es zu den Mindestanforderungen einer Einrichtung im Sinne des § 45 SGB VIII gehört, neben den abzudeckenden Betreuungszeiten auch Krankheitsausfälle, urlaubsbedingte Abwesenheit, Besprechungszeiten etc. zu berücksichtigen. Zudem hielt es für bedeutsam, dass verlässliche Strukturen und Mechanismen vorhanden sind, die eine kontinuierliche adäquate Betreuung und Unterbringung gerade auch bei Ausfallzeiten der innewohnenden Fachkraft und insbesondere in akuten Krisensituationen, in denen etwa ein weiterer Aufenthalt der betreuten Person im Haushalt der Fachkraft nicht mehr möglich ist, gewährleistet sind.

Da die von der Einrichtung vorgelegte Konzeption den gesetzlichen Mindestanforderungen des § 45 SGB VIII nicht genügt, weil aus ihr nicht hervorgeht, auf welche (nachvollziehbare) Weise mit Ausfallzeiten der innewohnenden Fachkraft oder mit akuten Krisensituationen umzugehen sei, war die betriebserlaubniserteilende Behörde nicht gehindert, in der Betriebserlaubnis Vorkehrungen für (etwaige) Ausfallzeiten vorzusehen - was sie in diesem Fall mit einem Stellenschlüssel von 1,2 Stellen getan hat.

Wie eine solche Vertretung denn konkret umgesetzt werden könne, dazu bieb die Entscheidung leider nebulös. Das OVG führte dazu lediglich aus:

"Der Einwand der Einrichtung, um Ausfallzeiten aufzufangen, sei es ungeeignet, pauschal und permanent 0,2 Stellenanteile vorzusehen, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zwar ist ihr zuzugeben, dass dieser Regelung im Bescheid formal auch dann entsprochen wäre, wenn etwa ganzjährig für einen Tag pro Woche oder für ein bestimmtes tägliches Stundenkontingent eine zusätzliche Betreuungskraft im Haushalt für die Betreuung zur Verfügung stünde. Der Vollstreckungsschuldner (Anm. : hier die betriebserlaubniserteilende Behörde) hat indessen deutlich gemacht, dass es bei der Regelung über die Personalvorhaltung im Bescheid vom 11. November 2021 um die Gewährleistung der Betreuung bei Ausfallzeiten gehe, so dass eine rein formale Handhabung dem Sinn und Zweck dieses Stellenanteils nicht entspräche. Damit erscheint es nicht gerechtfertigt, der im Bescheid vorgesehenen Personalvorhaltung generell die Geeignetheit abzusprechen, etwaige Ausfallzeiten zu kompensieren.
Aus Sicht des erkennenden Senats bedürfen die insoweit aufgeworfenen Fragen im Rahmen der hier nur erfolgenden summarischen Prüfung keiner abschließenden Klärung. Die mit Blick auf die Offenheit der Sach- und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der streitigen Personalvorhaltung gebotene Folgenabwägung geht vorliegend zu Lasten der Vollstreckungsgläubigerin (Anm.: hier der Einrichtung) aus."

Arbeitsrechtlich und arbeitsschutzrechtlich hat die Entscheidung leider keine Klarheit gebracht - schade.

14.09.2022 MdC

BAG: Verpflichtung zur systematischen Arbeitszeiterfassung

Das BAG hat gestern (Entscheidung v. 13.9.2022, Az 1 ABR 22/21 eine wegweisende Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung getroffen.

Der in diesem Verfahren antragstellende Betriebsrat hatte mit der Arbeitgeberin,  die eine vollstationäre Wohneinrichtung betreibt, eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung aushandeln wollen. Da eine Einigung hierüber nicht zustande.kam, begann der Weg durch die Instanzen, bis jetzt das Bundesarbeitgericht zu entscheiden hatte. Der Betriebsrat unterlag hier.

Wesentlich wichtiger aus der Entscheidung sind die Gründe.Das Gericht lehnte ein Initiativrecht des Betriebsrates ab, da ein Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber jedoch bereits gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Was das für unsere Mitglieder bedeutet, werden wir noch einmal zusammenfassen sobald die Entscheidung des BAG im Volltext vorliegt.

Wir hatten uns bereits 2019 der Auffassung angeschlossen, dass auf Grund der europäischen Rechtsprechung ein solches System verpflichtend einzuführen sei. Das sieht nun auch das BAG so.

14.09.2022 MdC

Eingruppierung stellvertretende Leitung im öffentlichen Dienst

Wie wichtig eine ausdrückliche Bestellung zur stellvertretenden Leitung im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes ist, das zeigt eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera (Urteil vom 29.06.2022 - 1 Ca 326/21Urteil vom 29.06.2022 - 1 Ca 326/21).

In dem Verfahren wurde der Klägerin die Leitungsstelle für Urlaubs- und Krankheitsfälle übertragen, jedoch keine "ständige Vertretung". Die Klägerin scheiterte daher auch mit ihrem Höhergruppierungsantrag.

Für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sollte u.E. auf eine ständige Vertretung geachtet werden. Eine reine Urlaubs- und Krankheitsvertretung dürfte sehr viel weniger in der Lage sein, die Vertretung einer Leitungskraft wahrzunehmen. Letztendlich benötigen auch Vertretungskräfte eine ständige "Übung" in Leitungsaufgaben und nehmen i.d.R. ja auch den originären Leitungskräften in der Praxis häufig schon verschiedene Aufgaben ab. Gemäß der Protokollnotiz 4 der SUE-Eingrupperungen "soll" eine solche ständige Vertretung auch bestellt werden. Diese Bestellung muss dann aber auch vorgenommen werden, sofern man darüber eine entsprechende Höhergruppierung erreichen will.

 

13.09.2022 MdC

Keine Beschäftigungspflicht für ungeimpfte Pflegekräfte

Das LAG Hessen hat in gleich zwei Verfahren  (Urteile vom 11.08.2022, Az. 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22) die Eilanträge von in der Pflege tätigen ungeimpften Pflegekräften in einem Seniorenheim auf weitere Beschäftigung abgewiesen.

Die Arbeitgeberin hatte die Pflegekräfte im März 2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15. März 2022 bestehenden Pflicht nach § 20 a Infektionsschutzgesetz, wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z.B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Das LAG ist – wie bereits die Vorinstanz – zu dem Ergebnis gekommen, dass die nicht geimpften Pflegekräften keinen Anspruch darauf haben, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung.

Bei der Interessenabwägung habe die Arbeitgeberin zu recht die Arbeitnehmer freistellen dürfen, da das schützenswerte Interesse der Heimbewohnerinnen vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, das Interesse der Pflegekräfte auf Beschäftigung überwiege.

Die Entscheidung dürfte auch für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe relevant sein, in denen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht besteht.

MdC 09.09.2022

Gefälschter Testnachweis kann zur außerordentlichen fristlosen Kündigung führen

Mit Urteil vom 15.6.2022 (Az 2 Ca 25/22) hat das ArbG Mannheim entschieden, dass die Vorlage eines gefälschten SARS-CoV-2-Testnachweises einen die Arbeitgeberin „an sich“ zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigenden Pflichtverstoß i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt.

In Anbetracht der besonderen gesundheitlichen Gefahren handelt es sich um eine erhebliche Verletzung der aus dem Arbeitsvertrag gemäß § 241 Abs. 2 BGB folgenden Nebenpflichten. Durch die (versuchte) Täuschung der Arbeitgeberin, negativ auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden zu sein, hat der Arbeitnehmer das in ihn gesetzte und für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.

Immaterieller Schaden bei Verstoß gegen die DSG-VO

Das BAG hat mit Urteil v. 5.05.2022 (Az 2 AZR 363/212 AZR 363/21) die Revision gegen ein Urteil des LAG Hamm zurückgewiesen, welches der Klägerin einen immateriellen Schadenersatz i.H.v. 1.000 € zugesprochen hatte, da der Arbeitgeber der Klägerin zunächst keine Auskünfte zu älteren Arbeitszeitnachweisen und Vergütungen erteilt hatte.

Arbeitsrechtlich ist die Entscheidung trotzdem interessant, da insbesondere ein Verstoß von Auskunftspflichten des Arbeitgebers auch einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen kann.

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