Rechtsprechung

Mindestlohn in der 24h-Pflege

Am 25.06.2021 hatten wir über das Urteil des BAG zum Mindestlohn in der Pflegebranche berichtet. Heute wurde dazu der Volltext veröffentlicht.

Die Klägerin hatte mit einem bulgarischen Unternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen, der eine 6-stündige Arbeitszeit pro Tag bzw. 30 Wochenstunden vorsah. Unterzeichnet hatte die Klägerin auch eine Vereinbarung über eine "Netto-Endvergütung" in Höhe von 950 € / Monat. Eingesetzt wurde die Klägerin als Betreuungskraft für eine 90-jährige, in deren Haushalt sie aufgenommen wurde bei freier Verpflegung und Unterkunft. Die vermittelnde Agentur beschrieb die Leistung in einem entsprechenden Dienstleistungsvertrag mit "24 Stunden Betreuung / Pflege".

Die Klägerin verlangte nun die Differenzvergütung nach dem Mindestlohngesetz. Neben den Ausführungen des BAG zur (internationalen) Zuständigkeit und dem Anwendungsbereich des AEntG sind insbesondere die Wertungen des BAG zur Arbeitszeit und Vergütung hervorzuheben.

Zum Mindestlohn führte das BAG aus: "Mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeit ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft (...). Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit (...), sondern nach inländischem Recht vergütungspflichtige Arbeit (...). Denn zu dieser zählt auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat (...)."

Dem Gesetzgeber bescheinigte das BAG politisches Unvermögen:

"Es ist jedoch allein Sache des Gesetzgebers und nicht der Gerichte (...), zu entscheiden, ob Zeiten des Bereitschaftsdienstes generell oder jedenfalls im Bereich der häuslichen Pflege aus der Mindestlohnpflicht gänzlich herausgenommen oder mit einem geringeren als dem Mindestlohn für Vollarbeit vergütet werden sollen (...). Die im Schrifttum angeführten rechtspolitischen Probleme (...) beschreiben allein das politische Unvermögen in diesem Bereich, in dem seit langem Reformbedarf angemahnt wird (...). Auf der Grundlage des geltenden Mindestlohngesetzes ist der Rechtsprechung jedenfalls eine Rechtsfortbildung im Sinne einer Einschränkung des Anspruchs aufden gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Bereitschaftsdienste nicht möglich.

 Für welchen Stundenumfang nun der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen sei, dafür gab das BAG dem LAG, an welches die Sache zur Entscheidung zurückverwiesen wurde, einige Merkposten mit auf den Weg. Da eine detaillierte Auflistung der geleisteten Stunden vermutlich nicht möglich sei, legte das BAG dem LAG eine Schätzung nahe. Eine solche Schätzung müsse aber alle wesentlichen Bemessungsfaktoren berücksichtigen und dürfe nicht, so wie es das LAG nach Auffassung des BAG in der Vorinstanz getan hat, "völlig in der Luft hängen".

Für den Bereich familienanaloger Wohnformen wird man sicherlich die Idee einer solchen Schätzung ebenfalls in Erwägung ziehen können, da -zumindest nach Auffassung des Verfassers- Arbeitszeit und Freizeit  nicht sinnvoll voneinander abgegrenzt werden können. Daneben sprechen auch weitere wichtige Argumente gegen eine direkte Vergleichbarkeit, die wir hier aus prozesstaktischen Gründen in einem anhängigen Verfahren  (noch) nicht veröffentlichen können.

Aus unserer Sicht, so viel sei allerdings schon angemerkt, spielen unabhängig von der (Nicht-) Anwendbarkeit der arbeitszeitrechtlichen Regelungen Aspekte des Gesundheitsschutzes eine bedeutsame Rolle, die zukünftig mehr Einfluss auf die Personalbemessung haben müssen.

24.09.2021 MdC

Zugang eines Einwurfeinschreibens und Datenschutz beim BEM

Bei wichtigen Schreiben wie z.B. Kündigungen, aber auch bspw. bei einer Einladung zu einem BEM, ist es im Streitfall wichtig beweisen zu können, dass das Schreiben auch zugegangen ist. Die sichere Variante ist hier die persönliche Übergabe mit Empfangsbestätigung oder, wenn es persönlich nicht klappt, die Zustellung per Gerichtsvollzieher oder aber Boten (mit Zeugen).

Viele verlassen sich aber auch auf ein sog. Einwurfeinschreiben. Die Schwierigkeiten des Nachweises wurden für diese Form der Zustellung jetzt vom LAG Baden Württemberg noch einmal verschärft. In den Leitsätzen der aktuellen Entscheidung vom 28.07.2021 (Az. 4Sa 68/20) heißt es:

"1. Ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang eines Einwurfeinschreibens kann nur angenommen werden, wenn neben dem Einlieferungsbeleg auch eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorgelegt wird. Die Vorlage des bloßen Sendungsstatus ist nicht ausreichend (...)


2. Aus § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (in der bis zum 09.06.2021 geltenden Fassung, seit 10.06.2021: Satz 4) folgt nicht nur, dass der Arbeitnehmer auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist. Vielmehr ergibt sich hieraus auch, dass die Datenverarbeitung datenschutzkonform zu erfolgen hat.

3. Die Erreichung der Ziele des bEM erfordert nicht, dass nicht im bEM-Verfahren beteiligten Vertretern des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer im Verfahren mitgeteilte Diagnosedaten bekanntzumachen wären. Wenn dem Arbeitnehmer im Rahmen des § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (in der bis zum 09.06.2021 geltenden Fassung, seit 10.06.2021: Satz 4) dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist im besonderen Maße auf die Freiwilligkeit hinzuweisen."

Wer also zukünftig trotzdem noch auf Einwurfeinschreiben zurückgreift, der sollte neben allen anderen Anforderungen auch den Auslieferungsbeleg aufbewahren. Den Auslieferungsbeleg erhält man i.d.R. beim beauftragten Zusteller, häufig auch schon bei der Nachverfolgung mit Sendungsnummer per Internet abrufbar.

 

Keine Anrechnung von Quarantänezeiten auf den Jahresurlaub

Wer im Erholungsurlaub arbeitsunfähig erkrankt, dem werden die Krankheitstage nicht auf den Urlaub angerechnet (§ 9 BUrlG). Der Arbeitgeber leistet in diesem Fall Entgeltfortzahlung statt Urlaubsgeld. Wenn sich ein Arbeitnehmer im Urlaub aber  in Quarantäne begeben muss ohne selbst erkrankt zu sein, wird diese Zeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet.  Mit dieser aus Arbeitgebersicht erfreulichen Entscheidung hat sich das Arbeitsgericht Neumünster (Urteil vom 3.8.2021 - 3 Ca 362 b/21) aus unserer Sicht zutreffend positioniert. Oder, anders gesagt: Quarantäne ist keine Krankheit.

MdC

Versehentlich zu lang angegebene Kündigungsfrist kann wirksam sein

Eine fristlose, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin erklärte Kündigung kann problematisch werden, wenn als nächstmöglicher Termin ein falsches, versehentlich zu langes Datum benannt wird.

So erging es einem Arbeitgeber in der Entscheidung des LAG Hamm vom 16.06.2021 (10 Sa 122/21). Bei der Auslegung der Kündigungserklärung stellte das Gericht auf den Empfängerhorizont ab, so dass trotz des erkennbaren, schnellstmöglichen Beendigungswillens des Arbeitgebers die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst zu dem (späteren) Datum möglich war.

Nachtzuschlag für (Nacht-) Bereitschaften

Auch für Nachtbereitschaften in der Kinder- und Jugendhilfe ist ein Nachtzuschlag zu zahlen. Das ergibt sich bereits aus § 6 (5) ArbZG:

Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.

Mit der Höhe des Zuschlags hat sich nun mit Urteil vom 4.2.2021 das LAG Berlin-Brandenburg (Az 5 Sa 1320/20) beschäftigt. Das LAG hielt in diesem Verfahren einen Zuschlag von 25% auf den tatsächlichen Stundenlohn für angemessen. Der Arbeitgeber hatte die Bereitschaftsdienste mit 25% des für Vollarbeit gezahlten Bruttolohns vergütet, was in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe üblich ist. Einen separaten Nachtzuschlag hatte er für diese 25% bislang nicht gezahlt und auch keine Freistellung gewährt, so dass die klagende Erzieherin nun in der Berufung erfolgreich den zusätzlichen Nachtzuschlag geltend machen konnte.

Zu beachten ist, dass es in diesem Verfahren keine tarifvertragliche Regelung gegeben hatte. Ebenso ist zu beachten, dass das LAG grundsätzlich auch die Möglichkeit einer quasi pauschalen Abgeltung gesehen hat, die hier jedoch nicht erfüllt war. Das LAG führte dazu aus:

"Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Arbeitsvertragsparteien auf eine gesonderte Zuschlagsregelung in Form eines vom Hundertsatzes des Stundenlohnes verzichten und stattdessen den Grundlohn wegen der vereinbarten Nachtarbeit entsprechend erhöhen. Von einer derartigen pauschalen Abgeltung des Nachtarbeitszuschlags kann jedoch nur ausgegangen werden, wenn der Arbeitsvertrag konkrete Anhalte hierfür enthält. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass in dem Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und dem (zusätzlichen) Nachtarbeitszuschlag unterschieden wird; jedenfalls muss ein Bezug zwischen der zu leistenden Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt sein."

Für nicht tarifgbebundene Arbeitgeber kommt es daher sehr genau auf die Formulierungen im Arbeitsvertrag an.

13.08.2021 MdC

Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst

Mit der Frage, wie man Rufbereitschaft von Bereitschaftsdienst abgrenzt, hat in den letzten Jahren nicht nur den EuGH beschäftigt, sondern jüngst auch wieder die deutschen Gerichte.

Das BAG hatte in einem Verfahren (Urt. 25.3.2021, 6 AZR 264/20) darüber zu entscheiden, ob ärztlicher HIntergrunddienst Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst ist. Im hier entschiedenen Fall ging es um eine tarifvertragliche Regelung im TV-Ärzte / TdL. Nach Auffassung des BAG ist hier das einzige tarifliche und entscheidende Unterscheidungskriterium von Bereitschaftsdienst  und Rufbereitschaft, ob der Arbeitgeber nach Maßgabe der von ihm getroffenen Anordnungen den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmt oder ob der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort im Rahmen der durch den Zweck der Rufbereitschaft vorgegebenen Grenzen frei wählen kann. Im ersten Fall handelt es sich um Bereitschaftsdienst, im zweiten Fall um Rufbereitschaft.

Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung, die Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich demnach dadurch, dass der Arbeitgeber beim Bereitschaftsdienst den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers bestimmt, wohingegen dieser vom Arbeitnehmer bei der Rufbereitschaft grundsätzlich selbst gewählt werden kann.

Das BAG führte zum Aufenthaltsort weiter aus: "Allerdings ist der Arbeitnehmer auch während der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Der Zweck der Rufbereitschaft besteht gerade darin, dass der Arbeitnehmer in der Lage sein muss, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können (...). Kennzeichnend für Rufbereitschaft ist daher, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen darf, deren Dauer den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall gewährleistet. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft (...).

Aufenthaltsbeschränkungen... können allerdings auch konkludent erfolgen. Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme genau vorgibt und die Zeitspanne dabei so kurz bemisst, dass sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt (...). In einem solchen Fall ersetzt der Arbeitgeber die örtlichen Beschränkungen lediglich durch den Faktor Zeit (...) und ordnet dadurch konkludent Bereitschaftsdienst an."

Hervorzuheben ist bei der Entscheidung noch, dass das BAG zu häufige Einsätze in der Rufbereitschaft nicht als Bereitschaftsdienst angesehen hat.

Das LAG Thüringen hat sich mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigt, über die wir in den nächsten Tagen berichten.

 

 

Steuerfreiheit von Pflegegeldern bei zwischengeschaltetem Träger

Der BFH hat seine Rechtsprechung zu den Anforderungen der Steuerfreiheit von Pflegegeldern konkretisiert. Im Leitsatz der neuen Entscheidung, (Urt. v. 25.03.2021, Az.VIII R 37/19) heisst es dazu:

"Eine Zahlung aus öffentlichen Mitteln i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG an eine Pflegeperson kann bei Zwischenschaltung eines freien Trägers der Jugendhilfe nur vorliegen, wenn das zuständige Jugendamt weiß, ob und in welcher Höhe der freie Träger einen Eigenanteil einbehält, dies billigt und ihm gegen den freien Träger ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch zusteht, aufgrund dessen es eine Rechnungslegung über die Mittelverwendung und die Vorlage geeigneter Nachweise verlangen kann."

08.07.2021 MdC

 

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