Rechtsprechung

Aktuelle Entscheidungen zum Kündigungsrecht

Dass der Diebstahl von Desinfektionsmitteln zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen kann, hat jüngst das LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.1.2021 - 5 Sa 483/20) entschieden. Trotz der langen Beschäftigungszeit sah das LAG keine vorherige Abmahnung für erforderlich an. Mit dem Diebstahl des Desinfektionsmittels hat der Arbeitnehmer in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgehen. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Arbeitnehmers aus.

Ein weiteres kündigungsschutzrechtliches Verfahren vor dem ArbG Siegburg (Urt. v. 15.10.2020, 1 Ca 231/201 Ca 231/20) betraf die Kündigung auf Grund angeblich fehlender Krankmeldungen. Der Arbeitgeber konnte hier nicht nachweisen, dass er den Arbeitnehmer abgemahnt hatte. Da das KSchG Anwendung fand und eine Kündigung als letztes Mittel in diesem Fall eine vorhergehende Abmahnung vorausgesetzt hätte, scheiterte der Arbeitgeber mit seinem Anliegen.

11.02.2021

Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung

Das BAG hat mit dem heute veröffentlichten Beschluss  vom 29.9.2020, 1 ABR 21/19, das Beteiligungsrecht eines Betriebsrats bei einer kurzfristigen Zuweisung einer anderen Tätigkeit abgelehnt. Im Leitsatz heisst es:

"Eine - für die Annahme einer Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG bei kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zwingend notwendige - erhebliche Änderung der äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, liegt nur vor, wenn diese Änderung aus objektiver Sicht bedeutsam und für den betroffenen Arbeitnehmer gravierend ist. Hierbei kann auch von Bedeutung sein, wie lange der Arbeitnehmer den mit den äußeren Faktoren der Arbeit einhergehenden Belastungen ausgesetzt ist."

In der Begründung setzt sich das BAG ausführlich mit dem Begriff der Versetzung auseinander. Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. „Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs.

Was aber eine "erhebliche Änderung der Umstände" ist, dazu führt das BAG weiter aus. Lesenswert!

 

MdC

 

Das gekündigte Arbeitsverhältnis – und die Weiterarbeit des Arbeitnehmers

Wird ein Dienstverhältnis nach dem Ablauf der Dienstzeit von dem Verpflichteten (mit Wissen des anderen Teils) fortgesetzt, so gilt es gemäß § 625 BGB als auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern nicht der andere Teil unverzüglich widerspricht.
 

§ 625 BGB regelt die stillschweigende (unveränderte) Verlängerung von Dienst- bzw. in diesem Fall Arbeitsverhältnissen unabhängig vom Willen der Parteien. Eine dadurch fingierte Bereitschaft des Dienstberechtigten (d.h. Arbeitgebers),  das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, setzt aber voraus, dass ihm bekannt ist, dass der Arbeitnehmer für ihn weitere Dienstleistungen erbringt. Es kommt auf die Kenntnis des Arbeitgebers bzw. seines Vertreters an. Im Falle der Kenntnis des Vertreters muss sich die Vertretungsmacht auf den Abschluss eines Dienst- bzw. Arbeitsvertrags beziehen. Ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit kommt daher dann nicht zustande, wenn lediglich Kollegen des Arbeitnehmers über dessen weiteres Verbleiben am Arbeitsplatz unterrichtet sind, die den Endzeitpunkt des Arbeitsverhältnisses nicht kennen und nicht zur Entscheidung über das weitere Verbleiben des Arbeitnehmers befugt sind.

Das BAG sah im hier entschiedenen Fall, in dem der Arbeitnehmer nach einer Eigenkündigung das Arbeitsverhältnis ohne Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt hat,  auch keinen Entlohnungsanspruch aus faktischem Arbeitsverhältnis.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10. September 2020 – 6 AZR 94/19 (A)6 AZR 94/19 (A)
 
MdC

Zur Kündigungsfrist bei schwerbehinderten Arbeitnehmern

Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung, kann der Arbeitgeber sie gemäß § 88 Abs. 3 SGB IX aF bzw. aktuell § 171 SGB IX (nur!)  innerhalb eines Monats nach Zustellung des die Zustimmung enthaltenden Bescheids erklären.
 

Die in § 171 SGB IX  bestimmte Kündigungserklärungsfrist ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist; der Arbeitgeber erhält eine befristete Erlaubnis, die beabsichtigte ordentliche Kündigung auszusprechen. Maßgeblich für die Wahrung der Vollzugsfrist ist trotz des missverständlichen Wortlauts von § 171 SGB IX der Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer, der  innerhalb der Monatsfrist Kenntnis davon erlangen soll, ob die Kündigung erfolgt ist oder der Arbeitgeber von ihr Abstand genommen hat. Wird die Frist nicht gewahrt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand selbst bei schuldloser Fristversäumnis nicht in Betracht !

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Oktober 2020 – 2 AZR 247/20

MdC

Veruntreuung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt und die Verjährung

Nach einem aktuellen Beschluss des  BGH  v. 01.09.2020  (1 StR 58/19) beginnt die Verjährung jeder Tat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB  mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat nach § 23 Abs. 1 SGB IV.

Damit wurde der bisherigen, quasi fast "unendlichen" Verjährungszeit eine Absage erteilt. Auf eine Kommentierung wird hier verzichtet, da die Entscheidung ausführlich und gut lesbar ist. Anzumerken ist lediglich, dass die Verjährungsfrist (noch immer) fünf Jahre beträgt, soweit lediglich ein unbenannter besonders schwerer Fall gemäß § 370 Abs. 3 Satz 1 AO in Betracht kommt, § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB.

MdC

 

Betriebsrat hat keinen Anspruch auf dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten

Das BAG hat mit Beschluss vom 29.09.2020 (1 ABR 32/19) entschieden, dass aus dem entgeltlistenbezogenen Einsichts- und Auswertungsrecht des § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG kein Anspruch des Betriebsrats auf dauerhafte Überlassung der Listen über die Bruttolöhne und -gehälter folgt.

Die Entscheidung verwundert nicht, da das BAG bereits im Mai 2019 entschieden hatte, dass der Betriebsrat  nur Einblick in Unterlagen verlangen kann, die der Arbeitgeber – zumindest in Form einer elektronischen Datei – tatsächlich besitzt; ein auf Herstellung nicht existenter Listen gerichteter Anspruch lässt sich nicht auf § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG stützen (vgl. BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 53/17).

MdC

Mindestpersonalbesetzung und Mitbestimmungsrechte - nun doch?

Nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Hamburg steht dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Personalschlüsseln – zur Vermeidung einer ansonsten gesundheitsgefährdenden Überlastung des Personals zu.

Das LAG Hamburg vertritt damit eine andere Auffassung als das LAG Schleswig-Holstein (wir haben darüber im Rahmen einer BAG-Entscheidung berichtet).

Es wird in Anbetracht der divergierenden Rechtsauffassungen spannend bleiben, wie sich die weitere Entwicklung gestaltet.

Bernd Weller hat in seiner Kurzkommentierung geschrieben, dass "...bereits seit einiger Zeit zu beobachten (ist), dass der Kampf (um die Möglichkeiten der Erzwingung!) von Mindestbesetzungsquoten auf politischer Ebene (diverse gesetzgeberische Verordnungen zu solchen Quoten), auf gesellschaftlicher Ebene, auf gewerkschaftlicher Ebene (Forderung von Personalbesetzungs-Tarifverträgen) sowie teilweise auf betrieblicher Ebene von den Betriebsräten geführt wird. Und dieser Kampf wird weiter gehen.

Hierbei ist freilich immer die rechtliche Erzwingbarkeit (steht hier im Fokus) von der betrieblichen Notwendigkeit (ganz andere Diskussionsebene) zu unterscheiden. Werden diese Ebenen vermischt, besteht häufig die Gefahr, dass die durchaus nachvollziehbare Forderung nach mehr Personal – etwa im Bereich der Pflege –  den Blick auf rechtliche Grundsätze – etwa im Betriebsverfassungsrecht – trübt."

Dem ist auch im Hinblick auf die Jugendhilfe nichts hinzuzufügen.

MdC

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Mail: info@ag-vpk.de

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