Rechtsprechung

BEM und Kündigungsrecht

Wie immens wichtig die Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist, haben wir schon in vielen Beiträgen geschrieben. Neben dem primären Ziel, die Gesundheit der Arbeitnehmer (wieder) zu erlangen, hat das BEM auch kündigungsschutzrechtlich eine große Bedeutung.

Im hier entschiedenen Fall des LAG Düsseldorf (Urteil v. 9.12.2020, 12 Sa 554/2012 Sa 554/20) ging es um die Frage, wann ein BEM möglicherweise wiederholt werden muss:

Der Arbeitgeber muss gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX nach einem durchgeführten bEM erneut ein bEM durchführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Der Abschluss eines bEM ist dabei der Tag "Null" für einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr. Ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" hat ein bEM nicht. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des bEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Des Weiteren enthält die Entscheidung Ausführungen zu den Auswirkungen eines entgegen der rechtlichen Verpflichtung aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht erneut durchgeführten bEM auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung.

 

25.02.2021 MdC

Fristbeginn nach dem AGG bei Nichteinstellung einer Bewerberin

 Wird eine Bewerberin abgelehnt kann sich manchmal die Frage stellen, ob die Ablehnung auf Grund eines Diskrimierungsmerkmals erfolgt ist und einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen kann. Bekanntlich liegt die Beweislast hier beim Arbeitgeber, sofern die Bewerberin allein Indizien vortragen kann. Im hier entschiedenen Fall ging es daneben aber um die Frage ob der Entschädigungsanspruch, der innerhalb einer Frist von 2 Monaten gemäß § 15 AGG schriftlich geltend gemacht werden muss, rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Das BAG (Urteil vom 27. August 2020 – 8 AZR 62/19) hat dazu entschieden, dass diese Frist erst mit Zugang (!) der Ablehnung zu laufen beginnt.

Eine Ablehnung durch den Arbeitgeber erfordert in diesen Fällen eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder zumindest konkludente Erklärung des Arbeitgebers, dass dieser nicht einegstellt wird. Eine schriftliche Ablehnung oder auch andere "formale" Bescheidung ist zwar nicht erforderlich, aber allein das Schweigen des Arbeitgebers reicht nicht aus, um die Frist des § 15 AGG in Gang zu setzen.

Betriebsvereinbarung oder (doch nur) Regelungsabrede

In seinem Beschluss vom 28.07.2020 (Az 1 ABR 4/19) hat sich das BAG (Az 1 ABR 4/19) mit der Differenzierung von Betriebsvereinbarungen (BV) und Regelungsabreden beschäftigt.

Eine Betriebsvereinbarung ist eine schriftformgebundene (§ 77 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG) Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber mit unmittelbarer und zwingender Geltung. Der normative Charakter der Betriebsvereinbarung als privatrechtlich kollektiver und objektives Recht setzender Normenvertrag der Betriebsparteien grenzt die Betriebsvereinbarung von einer einfachen Regelungsabrede ab. Letztere bedarf nicht der Schriftform und erfordert eine individuelle Umsetzung.

Im hier entschiedenen Fall bestimmte die BV  für das Inkrafttreten eine einzelvertragliche schriftlicher Zustimmung. Dem erteilte das BAG eine Absage, da ein solches Zustimmungserfordernis nicht im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen ist.



Sozialversicherungspflicht einer Kunsttherapeutin

Wie schwierig die Frage sein kann, ob eine sozialversicherungspflichtige oder aber eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, zeigt eine aktuelle Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Urt. v. 17.07.2020, L 8 BA 1474/19). In dem Verfahren ging es um die Frage, ob Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung einer selbständigen Kunsttherapeutin besteht, die – neben anderen Tätigkeiten – in einer Klinik für Psychotherapie ein Malatelier mit regelmäßig stattfindenden Kursen anbietet.

Das LSG kam in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass keine Sozialversicherungspflicht bestand. Nach einer umfassenden Gesamtabwägung gelangte der Senat zu der Überzeugung, dass die Tätigkeit der Kunsttherapeutin in Selbständigkeit erfolgte. Zwar hatte die Vorinstanz die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, zutreffend herausgearbeitet, die Gewichtung war jedoch nach Auffassung des LSG anders vorzunehmen.

Die Entscheidung bestätigt noch einmal, dass bei allen Zweifelsfragen, ob eine abhängige oder selbstständige Beschäftigung vorliegt,  ein entsprechendes Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden muss. Dessen Ergebnis sollte dann jedoch von einem Experten für Arbeits- bzw. Sozialversicherungsrecht geprüft werden - zumindest wenn Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestehen.

Der umfassende Merkmals- und Kriterienkatalog, den die Gerichte bei Fragen zur Selbstständigkeit heranziehen und die zudem notwendige Gesamtabwägung und Bewertung, können zu einer hohen Unsicherheit bei Trägern führen. Auf der anderen Seite bietet das komplexe Thema auch Möglichkeiten für eine aktive Gestaltung.

 

Verhaltensbedingte Kündigung bei verspäteter Krankmeldung

Vor einiger Zeit hatten wir über ein Verfahren am BAG informiert, in dem es um die (verhaltensbedingte) Kündigung auf Grund einer fehlenden unverzüglichen (Folge-) Krankmeldung ging. Im Nachgang zu dem Verfahren, in dem das BAG nicht selbst entscheiden konnte, hat das LAG Ba-Wü zu Lasten des Arbeitnehmers entschieden und die Kündigung bestätigt. Trotz langjähriger Betriebszugehörigkeit fiel die Interessenabwägung negativ aus, da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor bereits in ähnlicher Sache abgemahnt hatte. Der Arbeitgeber musste hier nicht dulden, dass die Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit wiederholt zu spät erfolgte.

 

 

 

Aktuelle Entscheidungen zum Kündigungsrecht

Dass der Diebstahl von Desinfektionsmitteln zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen kann, hat jüngst das LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.1.2021 - 5 Sa 483/20) entschieden. Trotz der langen Beschäftigungszeit sah das LAG keine vorherige Abmahnung für erforderlich an. Mit dem Diebstahl des Desinfektionsmittels hat der Arbeitnehmer in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgehen. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Arbeitnehmers aus.

Ein weiteres kündigungsschutzrechtliches Verfahren vor dem ArbG Siegburg (Urt. v. 15.10.2020, 1 Ca 231/201 Ca 231/20) betraf die Kündigung auf Grund angeblich fehlender Krankmeldungen. Der Arbeitgeber konnte hier nicht nachweisen, dass er den Arbeitnehmer abgemahnt hatte. Da das KSchG Anwendung fand und eine Kündigung als letztes Mittel in diesem Fall eine vorhergehende Abmahnung vorausgesetzt hätte, scheiterte der Arbeitgeber mit seinem Anliegen.

11.02.2021

Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung

Das BAG hat mit dem heute veröffentlichten Beschluss  vom 29.9.2020, 1 ABR 21/19, das Beteiligungsrecht eines Betriebsrats bei einer kurzfristigen Zuweisung einer anderen Tätigkeit abgelehnt. Im Leitsatz heisst es:

"Eine - für die Annahme einer Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG bei kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zwingend notwendige - erhebliche Änderung der äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, liegt nur vor, wenn diese Änderung aus objektiver Sicht bedeutsam und für den betroffenen Arbeitnehmer gravierend ist. Hierbei kann auch von Bedeutung sein, wie lange der Arbeitnehmer den mit den äußeren Faktoren der Arbeit einhergehenden Belastungen ausgesetzt ist."

In der Begründung setzt sich das BAG ausführlich mit dem Begriff der Versetzung auseinander. Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. „Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs.

Was aber eine "erhebliche Änderung der Umstände" ist, dazu führt das BAG weiter aus. Lesenswert!

 

MdC

 

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